Die FT sprach am 26.09. von einem “preemptive bail-out” – Bernanke und Paulson wollen durch ihren Plan die Banken stabilisieren, bevor eine Krise des Systems entsteht – das ist einerseits sicherlich vernünftig, lässt andererseits aber auch Zeit, den Plan so zu überarbeiten, dass er nicht nur die Symptome kuriert (illiquider Verbriefungsmarkt), sondern das Problem selbst (mangelnde Eigenkapitalausstattung der Banken).
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Historische Perspektive
Es handelt sich hier nicht um eine Krise der Marktwirtschaft, sondern des Finanzsystems. Diese Krisen sind weder etwas neues, noch stellen sie die Marktwirtschaft an sich in Frage. Vielmehr ist jede bedeutende Innovation im Finanzsystem bisher mit einer mehr oder weniger akuten Wirtschaftskrise verbunden gewesen, wobei die meisten Innovationen anschließend fester Bestandteil des Systems geblieben sind. Nur ein paar Beispiele: Die Finanzierung des spanischen Staates durch Kredite führte zum Aufstieg und Untergang des Hauses Fugger. Die Einführung von handelbaren Staatsanleihen führte zum Staatsbankrott Frankreichs (und indirekt zur französischen Revolution). Die Verbreitung von Aktien führte erstmal zur South Sea Bubble in England (und immer wieder zu spektakulären Booms und Crashs bei den folgenden Innovationen wie Eisenbahn, Gründerzeit und zuletzt der .com-Blase), der kreditfinanzierte Aktienkauf zum Schwarzen Freitag 1929, der computergesteuerte Handel zum Schwarzen Montag 1987. Mit anderen Worten: Ähnlich wie es einen festen Konjunkturzyklus gibt, gibt es an den Börsen Phasen der ruhigen Bewegungen, Phasen der Hausse und Phasen der Baisse. Diese Krisen sind reinigende Gewitter, und für die Finanzwissenschaft so wichtig wie die Leiche für den Pathologen und Anatomen, denn in der Krise zeigen sich erst die Verwundbarkeiten des Systems, also die Stellen, wo Regulierungsbedarf besteht. Es wird ja in der wissenschaftlichen Diskussion nie in Frage gestellt, ob die Märkte reguliert werden müssen, sondern nur wie (weit). Man darf nie vergessen (wie leider die Physiker, die die strukturierten Verbriefungen konstruiert haben), dass das Finanzsystem eine lernende Struktur ist, in der keine ewigen Wahrheiten gelten.
Rekapitalisierung der US Banken
In der Financial Times stand am 26.09. ein Artikel, der vorschlägt, lieber die 700 Mrd direkt in das Eigenkapital der Banken zu stecken, da dies den Banken viel besser hilft, jeder US-Dollar würde damit in dem Maße die Banken unterstützen, wie das Eigenkapital der jeweiligen Bank gegenüber den Schulden gehebelt ist, während die Eigenkapitalwirkung beim Aufkauf der Verbriefungen nur indirekt ist über die Neubewertung der Aktiva wirkt. Zahlenbeispiel: Eine Bank habe 10 Mrd Eigenkapital und 90 Mrd Fremdkapital. Durch eine Intervention um 10 Mrd verdoppelt sich das Eigenkapital auf 20 Mrd, und der Hebel halbiert sich. Kauft der Staat hingegen 10 Mrd der Verbriefungen zu einem Kurs von 50%, die in der Bilanz mit 20% bewertet sind, erhöht sich das Eigenkapital nur um 6 Mrd. auf 16 Mrd. Blick auf die Aktivseite: Die Verbriefungen verbleiben mit einer Bewertung von 4 Mrd. auf der Aktivseite, d. h. selbst bei einem Totalausfall dieser Papiere bliebe die Bank in diesem Beispiel genauso gut gestellt, wie bei einer Übernahme der Papiere durch den Staat. Im Normalfall (d. h. die Bank hält die Marktwerte bis zum Verfall bei einer Ausfallquote von 50% (dem hier unterstellte Fair Value, zu dem der Staat die Papiere übernehmen würde)), würde sie einen zusätzlichen Gewinn von 6 Mrd. machen, weil die Papiere zur Zeit unterbewertet sind, und hätte nach Normalisierung der Märkte ein Eigenkapital von 26 Mrd, und der Staat könnte seine Aktien mit einem Gewinn verkaufen.
Sind die USA pleite?
Nein, die USA an sich sind nicht pleite, sie werden nur neu bewertet. Dabei werden sie insbesondere ihr bisheriges “Vorrecht” verlieren, dauerhaft mehr zu konsumieren als zu produzieren, es wird (möglicherweise kurzfristig) zu einem Ausgleich der Zahlungsbilanz kommen (durch Reduzierung des Konsum), und der Dollar wird noch schwächer werden, weil für die USA die Lösung des Schuldenproblems darin bestehen wird, diese wegzuinflationieren. Rechnet man alles zusammen, wird die USA ihr BIP um 10% reduzieren, um wieder ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht zu erreichen – schlechte Aussichten für die Weltkonjunktur, und wahrlich kein Grund zum jubeln.
Selbstheilung des Marktes möglich
Es gibt die Selbstheilungskräfte des Marktes, nur ist das Problem, dass diese Selbstheilung länger dauert und mehr kostet, als eine staatlich unterstützte Lösung der Krise (so ähnlich wie es auch für die Pest in Europa eine natürliche Lösung gab, würden erst einmal die meisten Banken pleite gehen, mit ihnen große Teile der Wirtschaft und der Konsumenten, und erst nachdem all diese Insolvenzen abgewickelt würden, würde die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen). Das Problem des Bankensystems besteht darin, dass dieses nur so lange stabil ist, so lange alle wesentlichen Marktteilnehmer darauf Vertrauen, dass das System stabil ist (es handelt sich also in zweierlei Hinsicht um selbsterfüllende Prophezeiungen: Glauben alle an das System, überlebt es, zweifeln alle am System, stirbt es). Insofern kann es ja auch keine Zweifel daran geben, dass der Staat das Recht und die Pflicht hat, durch Regulierungen destabilisierende Elemente zu beschränken. Das Problem war ja, dass die Verbriefungen (Asset Backed Securities) allgemein als stabilisierend angesehen wurden, da sie eine bessere Streuung des Risikos erlauben würden. Dies wäre in einem gewissen Sinne auch der Fall gewesen, wenn das Risiko, dass in den Verbriefungen steckt, auch tatsächlich aus dem Bankensystem herausgekommen wäre (also z. B. bei Staatsfonds oder großen Versicherungen platziert worden wäre). Tatsächlich haben sich aber die Banken nur die Verbriefungen hin- und hergeschoben.