Ungewollte Konsequenzen des Lehman-Zusammenbruchs

Mittlerweile dürfte es ein Allgemeinplatz geworden sein, dass es ein Fehler war, Lehman zusammenbrechen zu lassen – meiner Interpretation nach deshalb, weil die Banken komplett verunsichert wurden, wie stabil ihre Geschäftspartner denn wirklich sein würden.

John Hempton beleuchtet aber ein weiteres Problem, das aus einer regulatorischen Lücke in Großbritannien stammt: Während in den USA (und meines wissens nach auch in Deutschland) Wertpapiere der Kunden unabhängig vom Vermögen der Bank sind, die diese verwaltet, konnte Lehman die Wertpapiere ihrer Kunden in Großbritannien als Sicherheit für eigene Kredite verwenden, weswegen jetzt die Wertpapiere dieser Kunden in der Konkursmasse eingefroren sind.

Dies ist ein Problem für die Hedgefonds-Kunden, die z. B. Aktien auf Kredit gekauft haben, und jetzt Nachschüsse liefern müssen, weil sie die Aktien nicht verkaufen können. Im Endeffekt wurden diese stark gehebelten Hedgefonds-Positionen zu Lehman-Positionen, und mussten schnell aufgelöst werden, wodurch der Verkaufsdruck auf allen Finanzmärkten erhöht wurde. Eine andere Folge ist die Kursexplosion bei Volkswagen, weil viele Hedgefonds VW leerverkauft haben. Ausgelöst durch die Auflösung der Positionen bei Lehman stieg VW, und viele andere Fonds, die VW short waren, mussten sich eindecken, mit der bekannten Folge eines short squeeze, und einer allgemeinen Ansteckung der Hedgefonds, die bisher noch nicht von Lehman betroffen waren. Hemptons Fazit: The market remains irrational – but it might be irrational for rational reasons.

Die Krise in Osteuropa

Während Russlands Börse ja schon eine ganze Zeit im Gleichtakt mit dem Westen zusammenbricht, scheinen die Probleme jetzt auch immer stärker auf den russischen Geldmarkt überzugreifen: Die mittelgroße Bank Globex hat die Einlagen eingefroren, nachdem in den letzten beiden Monaten 29% abgezogen wurden, was dazu geführt hat, dass bei anderen Banken die Einlagen verstärkt abgezogen werden. Mittlerweile hat die Regierung 149 Mrd. € für Kriseninterventionen bereitgestellt.

Gleichzeitig verhandelt die Ukraine mit dem Internationalen Währungsfonds über einen Notkredit in Höhe von 14 Mrd. $, und Ungarn hat am Donnerstag von der EZB eine 5 Mrd. € Kreditlinie bewilligt bekommen.

Während es wenig überrascht, dass die Länder mit Leistungsbilanzdefizit in dieser Krise Probleme bekommen, bin ich vom Ausmaß in Russland doch etwas überrascht – dort sind die Börsenkurse bereits um 66% eingebrochen.

Quelle: http://www.nakedcapitalism.com/2008/10/russian-banking-system-teetering.html

Schnell rein – schnell wieder raus, und ein paar Vorschläge zur Regulierung

Nachdem Willem Buiter in seinem Blog auf ft.com sehr früh und sehr eindringlich für eine Rekapitalisierung und Verstaatlichung der Banken geworben hat, damit die Märkte wieder Vertrauen fassen, argumentiert er jetzt dafür, dass der Staat sich auch so schnell wie möglich wieder aus dem Geschäftsbankensystem zurückzieht.

Seine wesentlichen Argumente ergeben sich aus den Folgen politischen Einflusses auf die Geschäftspolitik:

  • Politisch gewünschte Kreditvergabe zur makroökonomischen Stabilisierung, deren Nachteil darin besteht, dass hier die Banken gezwungen werden Risiken auf sich zu nehmen, die sie gerade in der Rezession nicht auf sich nehmen sollten.
  • Mittelvergabe nach politischen Kriterien, d. h. die Banken werden eine günstige Geldquelle für politische Projekte, die ansonsten vom Staat finanziert werden müssten.
  • Postenschacher, Banken werden zum Abstellplatz für Politpensionäre.
  • Wettbewerbsverzerrung, da die Staatsbanken – wie bisher die Landsbanken unter Gewährsträgerhaftung – günstiger refinanzieren können. Diese Banken haben ebenso einen Wettbewerbsvorteil, wenn es um die Einlagensicherheit geht.

Im gleichen Beitrag macht er eine Reihe von Vorschlägen, welche Änderungen an den Finanzmarktregularien vorgenommen werden sollen:

  • Global agierenden Banken müssen globale Überwachungsinstitutionen gegenübergestellt werden.
  • Die Regulierung muss alle Unternehmen betreffen, die mit großem Eigenkapitalhebel am Finanzmarkt tätig sind, unabhängig davon, ob sie sich Bank, Versicherung, Hedgefonds, Special Purpose Vehicle oder Fahrradladen nennt.
  • Die Überwachung muss anhand extern nachvollziehbarer Kennzahlen erfolgen, d. h., das System von Basel II, das auf internen Risikomodellen beruht – und zur regulatorischen Arbitrage eingeladen hat, muss wieder abgeschafft werden.
  • Die Überwachung darf nicht von Informationen abhängig sein, die von möglicherweise nicht objektiven, privaten Ratingagenturen bereitgestellt werden.
  • Die Regulierung muss die verwendeten Hebel und das Mismatching (Laufzeit, Liquidität, Währung) begrenzen. Möglicherweise ist hier der Hebel der einzig wichtige Parameter, wenn das mögliche Mismatching vom Hebel abhängt.
  • Die Regulierung muss sich sowohl auf die Liquidität der Kreditmärkte und Kapitalmärkte als auch auf die Eigenkapitalausstattung der Banken konzentrieren.

Das deutsche Rettungspaket

Okay, hier kurz zusammengefasst die Details des deutschen Rettungspakets:

  1. Das Gesamtvolumen beträgt 480 Mrd. €
  2. Davon sind 400 Mrd. € Garantien zur Absicherung der Refinanzierung von Banken mit einer Laufzeit von bis zu 36 Monaten (nur Senior-Instrumente wie Inhaberschuldverschreibungen und Commercial Paper). Die erwartete Ausfallquote beträgt 5%, für die Risikovorsorge getroffen wird. Bei Inanspruchnahme müssen die Banken angemessene Preise für die Absicherung zahlen (mind. 2% nach Gesetzesbegründung).
  3. Der Bund stellt 70 Mrd. € zur Refinanzierung von Geschäftsbanken bereit, wobei je nach Rechtsform die entsprechenden Instrumente (stimmrechtslose) Vorzugsaktien, Aktien oder Hybridkapital wie Genusscheine verwendet werden. Zu diesem Zweck können Banken ihr Grundkapital um bis zu 50% erhöhen.
  4. Die Umsetzung erfolgt durch einen Stabilisierungsfonds, der als Sondervermögen des Bundes durch die Bundesbank verwaltet wird. Der Fonds kann sich durch Ausgabe von Schuldverschreibungen bis 100 Mrd. € finanzieren (70 Mrd. Rekapitalisierung, 10 Mrd. Reserve, 20 Mrd. Risikovorsorge).
  5. Wenn notwendig, kann der Fonds „Problem-Aktiva“ aufkaufen (wenn alles andere versagt).
  6. Die Laufzeit des Programms ist bis zum 31.12.2009 begrenzt.
  7. Die Bundesbank soll Geldmarktfonds sichern.
  8. Die fiskalischen Risiken sollen von Bund und Ländern im Verhältnis 65:35 getragen werden.

Noch ein paar Details aus Steinbrücks Pressekonferenz:

Banken, die Leistungen in Anspruch nehmen, müssen auch Gegenleistungen in der Unternehmenspolitik leisten, u. a. sollen die Banken die Kreditversorgung des Mittelstands sicherstellen, Managerboni eingeschränkt werden, und die Banken sollen keine Dividenden auszahlen.

Als wichtigen Punkt nennt Steinbrück die Anpassung der Bilanzierungsregeln: Es soll eine flexiblere Einordnung in Handelsbuch (Mark-to Market) oder Bankbuch (Anschaffungskosten) ermöglicht werden sowie die Bewertung nach Barwert der Aktiva.

Update: Hier gibt es den Gesetzesentwurf. Übrigens wird die Insolvenzordnung geändert. Demnach führt eine Überschuldung nicht mehr zwingend zur Insolvenz, sondern nur dann, wenn eine erfolgreiche Fortführung der Geschäfte überwiegend nicht wahrscheinlich ist.

Update 2: weissgarnix hat ein Schaubild der geplanten Maßnahmen, und die Länderfürsten exerzieren wohl gerade durch, was schon so unglaublich gut im US-Kongress funktioniert hat.

Zentralbank-Liquiditätsprogramme behindern den Interbankenmarkt

Wie an anderer Stelle beschrieben, ist der Geldmarkt zusammengebrochen, und die Zentralbanken haben die Liquiditätsversorgung, die dieser Markt bisher für die Banken vorgenommen hat, übernommen. Wie von James Bianco beschrieben, stellt jetzt diese Zentralbank-Geldversorgung aber eine beträchtliche Hürde für Banken dar, wieder am Geldmarkt teilzunehmen, da sie sich günstiger bei der Zentralbank refinanzieren können, und mit den neuen Liquiditätsprogrammen auch mit immer längerer Laufzeit. In der Folge ist der Libor kein Indikator für tatsächliche Marktzinsen mehr, sondern ein taxierter Kurs. Dies hat aber beträchtliche Folgen für die Finanzwirtschaft – und auch die Realwirtschaft, weil viele Kredite mit variablen Zinsen sich auf den Libor als Referenzzins berufen.

Ich denke, dieses Problem wird mindestens so lange bestehen bleiben, wie die Zinssätze dieser Liquiditätsprogramme nur  unwesentlich – jedenfalls im Vergleich zu den Risikoprämien, die Banken untereinander einfordern würden – oberhalb des Referenzzinses liegen. Andererseits würde es aus makroökonomischer Sicht verheerend sein, jetzt die Zinssätze, zu denen sich Banken refinanzieren können, und damit die Zinssätze, die Unternehmen, wenn sie denn Kredit bekommen, bezahlen müssten. Somit stellt sich verstärkt die Frage, ob sich nicht ein Interim-System der Liquiditätsversorgung entwickelt hat, bei der die Zentralbanken als Lender of first resort dienen, und ob dies über die kurze Frist hinaus wünschenswert ist.

Eine Möglichkeit, dieses Interim-System wieder in einen Geldmarkt umzuwandeln, der von den Geschäftsbanken bestimmt wird, würde darin liegen, ein Clearinghouse einzurichten, so dass die Banken sich keine Sorgen über die Solvenz der Kreditnehmer machen müssten, sondern nur über die Solvenz des Clearinghouse, welches dann sinnovllerweise mit einer Staatsgarantie versehen würde, so lautete zumindest eine der Ideen, die gestern beim G7-Gipfel auftauchte.