Das deutsche Konjunkturpaket und die Leistungsbilanz

Mein Eindruck ist, dass die Regierung vor allem deswegen gegen ein umfangreiches Konjunkturpaket ist, weil sie befürchtet, eine Erhöhung des deutschen Konsums würde Deutschland nicht helfen, sondern vor allem ins Ausland abfließen. Diese Befürchtung ist wohl nicht ganz unberechtigt, wenn man sich die Struktur der deutschen Güterproduktion ansieht. Die Frage ist aber, ob das wirklich ein Problem ist, oder nicht viel eher ein Schritt zur Lösung des Problems.

Im letzten Jahrhundert wurde einmal das goldene Rechteck der Wirtschaftspolitik definiert: Ausgeglichener Haushalt, Vollbeschäftigung, gleichmäßiges Wirtschaftswachstum und eine ausgeglichene Leistungsbilanz. Gerade der letzte Punkt wird in Deutschland aber verletzt: abgesehen von den erdölexportierenden Ländern ist Deutschland nach China das Land mit dem höchsten Leistungsbilanzüberschuss – 279 Mrd. US-$, oder 7,3% des BIP. Das bedeutet letztendlich, Deutschland produziert pro Jahr 7,3% mehr als es konsumiert. Gleichzeitig wirft die Kanzlerin aber den anderen Ländern, die unsere Produkte abnehmen vor, gegen den guten Menschenverstand einer schwäbischen Hausfrau zu verstoßen und mehr zu konsumieren als zu produzieren – man sollte vielleicht mal anmerken, dass dies zu einer ausgeglichenen Bilanz. Gleichzeitig ist aber der Punkt nicht von der Hand zu weisen, dass die Lösung nicht darin bestehen könnte, dass jetzt die Länder, die ohnehin schon überschuldet sind, noch mehr Schulden aufhäufen, um damit die Konjunktur wieder anzuschieben.

Geht man also davon aus, dass es insgesamt wünschenswert erscheint, die notwendige Rezession so abzufedern, dass keine selbstverstärkende Depression daraus wird, so gehört dazu wohl eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die zur Zeit nur vom Staat ausgelöst werden kann. Geht man gleichzeitig davon aus, dass global gesehen die Konjunkturprogramme so wirken sollten, dass Ungleichgewichte im Außenhandel abgebaut, und nicht verstärkt werden sollten, dann ist die Schlußfolgerung logisch, dass hier Deutschland, als ein Land mit dem höchsten Leistungbilanzüberschuss, ein überdurchschnittliches Konjunkturprogramm auflegen sollte – auch wenn dann letztendlich der Staat damit französische Autos und italienische Weine bezahlt.

Dieser Artikel wurde von Martin Wolf inspiriert, wobei dieser noch sehr viel deutlichere Worte findet:

In normal times, current account surpluses of countries that are either structurally mercantilist – that is, have a chronic excess of output over spending, like Germany and Japan – or follow mercantilist policies – that is, keep exchange rates down through huge foreign currency intervention, like China – are even useful. In a crisis of deficient demand, however, they are dangerously contractionary.

Countries with large external surpluses import demand from the rest of the world. In a deep recession, this is a “beggar-my-neighbour” policy. It makes impossible the necessary combination of global rebalancing with sustained aggregate demand.

In short, if the world economy is to get through this crisis in reasonable shape, creditworthy surplus countries must expand domestic demand relative to potential output. How they achieve this outcome is up to them. But only in this way can the deficit countries realistically hope to avoid spending themselves into bankruptcy.

Pünktlich nach der Wahl

stellt das National Bureau of Economic Research fest, dass die USA seit Dezember 2007 in einer Rezession sind. Da bin ich dann doch überrascht – nicht, dass die Rezession erst jetzt festgestellt wird, sondern dass diese Rezession schon ein Jahr alt sein soll.

Grafik zur Fed-Politik

FT Alphaville hat eine Grafik der Bank of America veröffentlicht, die die Folgen der Geldpolitik der Fed darstellt:

Wie man sieht, hat die Fed durch ihre Liquiditätsprogramme sehr viel neues Geld geschaffen – aktuell 1,1 Bil. US-$. Durch den Verkaufvon neuen Treasury-Bills hat sie aber einen Teil des neu geschaffenen Geldes wieder eingesammelt – aber eben nur einen Teil. Im Effekt hat sie so gut 500 Mrd. US-$ neues Zentralbankgeld in der Summe bereitgestellt. Ceteris paribus müsste dies also eine Explosion der Geldmenge haben – aber die Dinge sind nicht gleich geblieben – Abbildung 12 zeigt, wie der Geldmengenmultiplikator – also das Verhältnis von M1 zum Zentralbankgeld eingebrochen ist.

HMS Banking System

… oder auf deutsch: Der VEB Finazsektor. So, oder so ähnlich sieht Willem Buiter die Zukunft der Banken, wenn sie nicht in kurzer Zeit anfangen, wieder aus eigenem Antrieb Kredite an den Nichtbanken-Bereich der Wirtschaft zu vergeben.

Er kommt zu diesem radikalen Schluss, weil es grundsätzlich nur drei Gründe für die Existenz des Finanzsektors – in der Rolle des Finanzmediärs – gibt: 1. Ausgleich zwischen Agenten, die überschüssige Liquditität haben und Agenten, die einen Finanzierungsbedarf haben, 2. Der Ausgleich von Risiken innerhalb der Wirtschaft und 3. Das Portfoliomanagement der Investitionen. Alle drei Funktionen werden zur Zeit wenig bis gar nicht erfüllt, bzw. sind weit von ihrem gesamtwirtschaftlichen Optimum entfernt. Nach Buiter kann man daher nicht mehr von einer Krise im Finanzsektor sprechen und auch nicht mehr von einer Krise des Finanzsektors – der Finanzsektor insgesamt ist tot.

Die wichtigste Funktion für die Volkswirtschaft ist zweifellos die Kreditvergabe an Unternehmen, da besonders die eher eigenkapitalschwachen kleinen und mittleren Unternehmen sonst in Schwierigkeiten geraten, wenn ihnen der Zugang zu Fremdkapital verwehrt wird. Als mögliche Ursachen für die jetzige Weigerung des Finanzsektors, Kredite zu vergeben, sieht Buiter fünf Gründe: 1. Die bisherige Kreditvergabe war irrational stark ausgeweitet, und die Banken haben erst jetzt zu einer rationalen Bewertung der Risiken zurückgekehrt. 2. Der Kreditmarkt weisst zwei selbsterfüllende Gleichgewichtszustände auf, und durch Schocks auf den Markt ist dieser in das schlechte Gleichgewicht geraten, in der die Banken eine Depression erwarten, daher die Kreditvergabe einstellen, und somit erst den Zustand schaffen, in dem eine Depression sich entwickeln kann. 3. Nach der exzessiven Kreditvergabe der Vorjahre haben in den Banken die Risikomanager und Buchhalter die Regie übernommen, für die es wenig Anreize für eine Kreditvergabe gibt, da diese zu keinem Bonus führt, aber im Verlustfall den Arbeitsplatz gefährdet. 4. Schiere Panik bei den Bankmanagern. 5. Banken horten Liquidität, um nicht staatliche Rettungspakete in Anspruch nehmen zu müssen, da diese in der Regel mit Einschränkungen der Entlohnungspolitik und Ausschüttungspolitik verbunden sind.

Während Buiter den ersten Grund ausschließt – er also keine objektive Bewertung der Ausfallrisiken der Kredite an den Nichtfinanzsektor sieht – geht er davon aus, dass die restlichen Ursachen zum gleichen Teil ihren Beitrag leisten. Aus diesem Grund fordert er, dass der Staat die Banken dazu zwingen muss, die Kreditvergabe wieder aufzunehmen, wozu er drei Wege vorschlägt:

1. Es wird gesetzlich festgelegt, dass existierende Kredite, die im nächsten Jahr zur Erneuerung anstehen, bedingungslos verlängert werden. Das Problem hierbei ist, dass dies den Unternehmen nicht hilft, die ihr Geschäft mit Hilfe von Fremdkapital ausweiten wollen.

2. Der Staat gibt den Banken Kreditvergabeziele vor, z. B. das bisherige Kreditvolumen + 5%, und wenn die Banken das Ziel nicht erfüllen, wird die Abweichung als Steuer vereinnahmt.

3. Da die Banken sowieso nur noch aufgrund der staatlichen Unterstützung existieren, kann dieser umstand auch formalisiert werden, d. h. die Banken werden verstaatlicht, und bisherige Vorstände und Aufsichtsräte werden gefeuert.

Wie gesagt, ein radikaler Ansatz, und ein Zeichen für die Umstände, in die der Finanzsektor geraten ist, dass die Forderung der Verstaatlichung von einem Professor der London School of Economics und ehemaligen Mitglied des Kontrollrats der Bank of England kommen kann. Man sollte allerdings bedenken, dass die Situation Englands eine andere als die Deutschlands ist, da hier mit den Sparkassen und Genossenschaftsbanken zwei Säulen des Banksystems existieren, die nicht primär an der Gewinnmaximierung orientiert sind, und von daher eine Lücke der Kreditvergabe durch Privatbanken füllen können.

Erleben wir das Kabinett Brüning III?

So könnte vielleicht der Titel einer der nächsten Hart-aber-fair-Sendungen sein. Zur Erinnerung: Brüning war der Reichskanzler, der während der Weltwirtschaftskrise einen harten Konsolidierungskurs gefahren hat, und dadurch den Zusammenbruch der Wirtschaft in Deutschland weiter beschleunigen half – so zumindest die allgemeine Wahrnehmung (1).

Zur Zeit muss man den Eindruck haben, dass die deutschen Haushaltspolitiker wenn nicht im Umfang, dann doch in der Tendenz den gleichen Fehler zu machen bereit sind – man ist stolz auf die erreichte Haushaltskonsolidierung, und will das Erreichte nicht durch Konjunkturpakete wieder aufgeben. Gleichzeitig wirkt wohl bei vielen noch die Erfahrung der 1970er Jahre, als die Konjunkturpakete wirkungslos blieben.

Diese Zögerlichkeit der Politik erscheint mir sehr gefährlich, da gleichzeitig von Medien und Wissenschaft die Meinung verbreitet wird, die beschlossenen Massnahmen würden keine Wirkung zeigen und seien vom Umfang her zu klein. Schnell kann hieraus eine Erwartung entstehen, die Politik würde dadurch sehenden Auges die Rezession verschlimmern, anstatt durch entschlossenes Handeln dafür zu sorgen, dass die Rezession flach und kurz bleibt.

Meiner Meinung nach ist es daher notwendig, dass jetzt ein klares Signal von der Regierung kommt, dass man das Problem erkannt hat, dass man bereit ist, eine sinnvolle Summe (im Bereich 1-1,5% des BIP) einzusetzen, dass man dafür sorgen will, dass die Mittel möglichst effizient wirken, und man daher noch 1-2 Monate für die Planung braucht. Dabei besteht dann natürlich die Gefahr, dass in der Zwischenzeit jedes mögliche Partikularinteresse sich an diesem Kuchen beteiligen will. Dennoch wäre es meiner Meinung nach besser, wenn die Regierung jetzt die Führung übernimmt, um zu einer Beruhigung zu sorgen.

Im Übrigen würde dies auch die deutsche Position in der EU deutlich verstärken, da sonst im Ausland der Eindruck herrschen könnte, Deutschland versuche als Trittbrettfahrer von den Konjunkturprogrammen des Auslands zu profitieren. Dies ist übrigens ein wichtiges Argument für die internationale Koordination: In kleinen offenen Volkswirtschaften ist die Fiskalpolitik normalerweise wirkungslos, da ein Großteil der eingesetzten Mittel ins Ausland abfließen. Insofern kann nur eine gleichgerichtete, zeitgleiche Fiskalpolitik der miteinander verbundenen Volkswirtschaften dafür sorgen, dass jede einzelne Volkswirtschaft einen wirksamen Impuls erhält, und deswegen ist die deutsche Weigerung, sich international zu beteiligen auch nicht hilfreich.

(1) Hiermit hedge ich meine Faulheit, nicht genau nachgeschlagen zu haben im Vertrauen auf mein Gedächtnis.