Es handelt sich hier nicht um eine Krise der Marktwirtschaft, sondern des Finanzsystems. Diese Krisen sind weder etwas neues, noch stellen sie die Marktwirtschaft an sich in Frage. Vielmehr ist jede bedeutende Innovation im Finanzsystem bisher mit einer mehr oder weniger akuten Wirtschaftskrise verbunden gewesen, wobei die meisten Innovationen anschließend fester Bestandteil des Systems geblieben sind. Nur ein paar Beispiele: Die Finanzierung des spanischen Staates durch Kredite führte zum Aufstieg und Untergang des Hauses Fugger. Die Einführung von handelbaren Staatsanleihen führte zum Staatsbankrott Frankreichs (und indirekt zur französischen Revolution). Die Verbreitung von Aktien führte erstmal zur South Sea Bubble in England (und immer wieder zu spektakulären Booms und Crashs bei den folgenden Innovationen wie Eisenbahn, Gründerzeit und zuletzt der .com-Blase), der kreditfinanzierte Aktienkauf zum Schwarzen Freitag 1929, der computergesteuerte Handel zum Schwarzen Montag 1987. Mit anderen Worten: Ähnlich wie es einen festen Konjunkturzyklus gibt, gibt es an den Börsen Phasen der ruhigen Bewegungen, Phasen der Hausse und Phasen der Baisse. Diese Krisen sind reinigende Gewitter, und für die Finanzwissenschaft so wichtig wie die Leiche für den Pathologen und Anatomen, denn in der Krise zeigen sich erst die Verwundbarkeiten des Systems, also die Stellen, wo Regulierungsbedarf besteht. Es wird ja in der wissenschaftlichen Diskussion nie in Frage gestellt, ob die Märkte reguliert werden müssen, sondern nur wie (weit). Man darf nie vergessen (wie leider die Physiker, die die strukturierten Verbriefungen konstruiert haben), dass das Finanzsystem eine lernende Struktur ist, in der keine ewigen Wahrheiten gelten.